Wenn die Darmflora nach Antibiotika-Gabe einen Ausreise-Antrag stellt ...

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Dass der Mensch nicht alleine daherkommt, sondern komplex mit Mikroorganismen besiedelt ist, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Viele Internisten betrachteten bis vor Jahren die menschliche Darmflora allerdings meist nur als „lästiges Sichthindernis“ bei der Endoskopie. Mittlerweile stürzen sich jedoch immer mehr konventionell arbeitende Ärzte auf aktuelle Erkenntnisse, die unter dem neuen Schlagwort „Mikrobiota“ verbreitet werden. Als Mikrobiota oder manchmal auch als Mikrobiom bezeichnet man alle auf und in einem Organismus beheimateten Mikroorganismen. Ein Beispiel hierfür sind die mittlerweile vielfach bestätigten Erkenntnisse zu bestimmten Verschiebungen der Darmflora bei übergewichtigen Patienten1).  Auch bei einer anstehenden antibiotischen Therapie kann es jeder auf den Beipackzetteln lesen und/oder weiß es aus persönlicher Praxis: Eine häufige Nebenwirkung von Antibiotika ist Durchfall. Dieser kann zusammengefasst und plastisch als „kollektive Ausreise ansässiger Darmbakterien“ betrachtet werden. Besonders häufig ist diese Nebenwirkung bei den antibiotisch wirksamen Substanzen Erythromycin, Lincomycin/Clindamycin, Cephalosporinen, aber auch bei Tetrazyklinen, Ampi- und Amoxicillin, Neomycin und Gyrasehemmern (Chinolonen)2). Bereits in den 1990er Jahren wurde das Ausmaß der Nebenwirkungen „Durchfall nach Antibiotika-Anwendung“ auf ca. 1 Million sog. „Durchfalltage“ pro Jahr hochgerechnet. 

Welche konkreten Auswirkungen auf das Mikrobiom des Darmes haben Antibiotika? 

Eine internationale Arbeitsgruppe um Dr. Sofia Forslund vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin untersuchte in einer aktuellen Studie zwölf gesunde junge Männer, die vier Tage lang einen „Cocktail“ aus den Reserveantibiotika Meropenem, Gentamicin and Vancomycin erhielten – dies sind Wirkstoffe, die häufig die letzte Waffe gegen resistente Bakterien darstellen. Hierbei wurde festgestellt, dass sich das Mikrobiom erst ein halbes Jahr nach der Medikamentengabe fast vollständig erholt hatte3). Zudem waren einige Bakterienarten dauerhaft verschwunden. Die auf die Antibiotika-Anwendung folgende Erholungsphase mit einer stufenweise mikrobiologischen Wiederbesiedlung zeigte anfänglich ein gehäuftes Auftreten der fakultativ pathogenen, also möglicherweise Krankheiten verursachenden Bakterien Enterococcus faecalis und Fusobacterium nucleatum. Gleichzeitig wurden viele Mikroorganismen mit Virulenzfaktoren, d.h. krankmachenden Eigenschaften von Mikroorganismen, festgestellt. Auch „…die Anzahl der Resistenz-Gene hatte sich in den Bakterien erwartungsgemäß erhöht“, berichtet Forslund.

Schlussfolgerung: Antibiotika-Einsatz sorgfältig abwägen und Alternativen nutzen!

Diese Forschungsarbeiten belegen, wie wichtig ein sorgfältiger Umgang mit Antibiotika ist, da es nicht nur zu offenbar dauerhaften Verlusten einzelner Bestandteile der ursprünglichen Darmflora, sondern auch zu einer gewissermaßen reaktiven Erhöhung der Anzahl an Resistenz-Genen kommt. Wie formulierte Prof. Tschäpe vom Robert-Koch-Institut (Wernigerode) so schön das (mikro-)biologische und (mikro-)ökologische Grundgesetz: „Der qualitative und quantitative Einsatz von Antibiotika ist äquivalent zur Resistenzentwicklung. Die Antibiotika-Resistenz ist ein altes phylogenetisches und ökologisches Phänomen und damit evolutionär erprobt und erfolgreich“.

Damit sich das „evolutionär erfolgreich“ nicht nur auf die Mikroben bezieht und damit den Menschen mittelbar ausmerzt, sind intelligente therapeutische Strategien jenseits konventioneller Antibiotika - wie z.B. der Einsatz pflanzlicher Antibiotika - nicht nur sinnvoll, sondern aus Menschensicht überlebenswichtig. Hierzu zählen z.B. die Senföle mit antibiotischen Eigenschaften, wie in Kapuzinerkresse. Die Pflanzenstoffe zeichnen sich durch einen vielfältigen Wirkmechanismus aus. Nach derzeitigem Kenntnisstand scheint dieser besondere Ansatz der Therapie die für Standardantibiotika bekannte Entwicklung von Bakterienresistenzen zu erschweren.

Literaturhinweise:

  1. Reijnders D et al. (2016): Effects of Gut Microbiota Manipulation by Antibiotics on Host Metabolism in Obese Humans: A Randomized Double-Blind Placebo-Controlled Trial.  Cell Metab. 2016 Jul 12;24(1):63-74. doi: 10.1016/j.cmet.2016.06.016. PubMed PMID: 27411009, zuletzt aufgerufen am 16.01.2019
  2. Beckmann G , Rüffer A (2000): Mikroökologie des Darmes. Grundlagen – Diagnostik – Therapie. Schlütersche , Hannover.  Tab. 16, S. 114. 
  3. Palleja A, Mikkelsen K, Forslund S. et al. (2018): Recovery of gut microbiota of healthy adults following antibiotic exposure. Nature Microbiology 3. doi:10.1038/s41564-018-0257-9, zuletzt aufgerufen am 16.01.2019