Laut einer umfassenden Untersuchung europäischer Wissenschaftler1) infizierten sich in Europa im Jahr 2015 rund 671.689 Personen mit sogenannten multiresistenten Keimen. Darunter versteht man bakterielle Krankheitserreger, die gegenüber vielen Antibiotika unempfindlich sind. Mehr als 33.000 Menschen, so die Schätzungen der Europäischen Seuchenbehörde ECDC, starben in diesem Zeitraum an den Folgen einer solchen Infektion. Grundlage für die Auswertung waren die Daten des „European Antimicrobial Resistance Surveillance Network (EARS-Net)“. Für die Analyse haben Forscher acht ausgesprochene Problemkeime betrachtet, die für schwere systemische Infektionen verantwortlich sind (Acinetobacter, Enterococcus faecalis und faecium sowie E. coli und Klebsiella pneumoniae, Pseudomonas aeruginosa, Staph. aureus und Streptococc. Pneumoniae).
Zudem wurde in der Untersuchung auch analysiert, welche weiteren Folgen eine Infektion mit multiresistenten Keimen hat. Hierfür wurden die um eine Krankheit angepassten Lebensjahre (Disease adjusted life years DALY) durch resistente Keime für 2015 in Europa ermittelt.
Zum Hintergrund dieser Kennzahl: Die DALY beschreibt, wie viele Lebensjahre des Menschen durch eine Krankheit verloren gehen, entweder durch einen frühzeitigen Tod oder eine Behinderung. Ein DALY steht für ein Jahr "verlorener" Gesundheit. Die aktuellen Studienergebnisse zeigen, dass die DALY durch multiresistente Keime in Europa heute so hoch wie die von Virusgrippe, HIV und Tuberkulose zusammen ist.
Pro 100.000 Einwohner traten im Jahr 2015 durchschnittlich 131 Infektionen, 6,4 Todesfälle und 170 DALY europaweit durch Problemkeime auf.
Handlungsbedarf auf vielen Ebenen
Da die aktuelle europäische Untersuchung auch beschreibt, dass sich zwei Drittel der Patienten mit Problemkeimen in Kliniken und Praxen anstecken, wird der Stellenwert von Hygiene- und Vorsichtsmaßnahmen deutlich. Je konsequenter diese befolgt werden, umso effektiver lassen sich Infektionen mit multiresistenten Keimen verhindern. Wie erfolgreich ein gezieltes Screening sein kann, zeigen uns unsere holländischen Nachbarn: Hier wird jeder Patient vor einem geplanten stationären Krankenhausaufenthalt auf resistente Keime getestet. Bestätigt sich eine Kolonisierung mit einem Problemkeim, wird der Patient isoliert und unter definierten Hygienemaßnahmen behandelt. So wird eine Verbreitung in klinischen Einrichtungen auf ein Minimum beschränkt. Die Infektionsrate mit resistenten Keimen ist in Holland im europäischen Vergleich entsprechend sehr gering (28,8 Fälle pro 100.000 Einwohner).
Aber auch bei der Forschung und Entwicklung von neuen Antibiotika besteht eindeutiger Handlungsbedarf. Dringend benötigt werden Antibiotika für bestimmte Keime, die bereits gegen Reserveantibiotika resistent sind. Reserveantibiotika sind oft das letzte Mittel gegen resistente Bakterien. Diese hochwirksamen Antibiotika sind eigentlich der Therapie schwerer, lebensbedrohlicher Erkrankungen vorbehalten, wenn die Bakterien bereits Resistenzen gegen andere Antibiotika entwickelt haben. Zudem muss europaweit vermieden werden, dass Antibiotika übermäßig und häufig fehlindiziert eingesetzt werden, das heißt z.B. bei einfachen, unkomplizierten Infektionen, bei viralen Infektionen (z.B. oberen Atemwegsinfektionen) und nicht sicher bakteriologisch verursachten Infektionen. Gerade in der Grippesaison werden viel zu häufig Antibiotika-Therapien eingeleitet, obwohl diese gegen Grippeviren selbst wirkungslos sind und nur in seltenen Fällen bei sekundär auftretenden bakteriellen Infektionen nützlich sind.
Um Antibiotikaresistenzen zu vermeiden, muss aber auch ein unreflektierter Einsatz von Antibiotika bei Infektionskrankheiten, die alternativ behandelt werden könnten, zukünftig stärker hinterfragt werden. Bei akuten, unkompliziert verlaufenden Infektionen, beispielsweise der Harnwege wie einer Blasenentzündung, können pflanzliche Wirkstoffe eine wirksame und effektive Behandlungsoption sein und gleichzeitig den Einsatz von Antibiotika einschränken. Empfehlungen in diese Richtung gibt die aktualisierte Ärzte-Leitlinie zur Behandlung von unkomplizierten Harnwegsinfektionen. Solche Leitlinien sind Empfehlungen für den Arzt, die ihn bei der Behandlung seiner Patienten unterstützen. Sie liefern grundlegende Informationen zur Diagnostik und zeigen auf, zu welchen Behandlungsmöglichkeiten klinische Studien mit hoher Aussagekraft vorliegen. In der aktualisierten Leitlinie zur Behandlung unkomplizierter Harnwegsinfektionen wird unter anderem der Einsatz von Arzneipflanzen wie Meerrettich bei häufig wiederkehrenden Blasenentzündungen empfohlen. Die darin enthaltenen Senföle, die z. B auch in Senf Brokkoli oder Kapuzinerkresse vorkommen, zeichnen sich durch ausgeprägte antibakterielle Eigenschaften aus. Sogar die in der anfangs vorgestellten europäischen Studie untersuchten Problemkeime (Acinetobacter, Enterococcus faecalis und faecium sowie E. coli und Klebsiella pneumoniae, Pseudomonas aeruginosa, Staph. aureus und Streptococc. Pneumoniae) – mit Ausnahme von Acinetobacter – reagieren sensibel auf die Senföle; zahlreiche Wissenschaftliche Untersuchungen haben dies bestätigt. Ein weiteres Plus: Aufgrund des umfassenden Wirkmechanismus dieser Pflanzenstoffe wird bei Bakterien die Entwicklung möglicher Resistenzmechanismen gegen die Senföle deutlich erschwert.
1)www.thelancet.com/journals/laninf/article/PIIS1473-3099(18)30605-4/fulltext