Mit Arzneipflanzen gegen Viren: Sind Phytopharmaka bei viralen saisonalen Atemwegsinfektionen eine Behandlungsoption?

Interview mit Dr. Dr. med. Erwin Häringer, Arzt für Allgemeinmedizin und Naturheilkunde, München

Herr Dr. Häringer, sind Ärzte häufig mit der Frage konfrontiert, inwiefern Phytopharmaka bei Erkältungskrankheiten wirksam sind?

Ja, das ist eine Frage, die gerade in der Erkältungszeit sehr viele Patienten beschäftigt, die mit einer akuten unkomplizierten Infektion der Atemwege bzw. einer Erkältung zu kämpfen haben. Wenn ärztlich abgeklärt ist, dass es sich um einen viral bedingten Infekt handelt – und dazu zählen Erkältungskrankheiten – und dem Patienten klargemacht wird, dass Antibiotika in diesem Fall nichts nützen, taucht in der Regel die Frage nach wirksamen Alternativen auf.

Und an diesem Punkt kommen Phytopharmaka ins Spiel?

Ja, genau. Erkältungspatienten wünschen sich meist, dass die Symptome schnell wieder verschwinden, damit die Einschränkungen im Alltag möglichst gering und von kurzer Dauer sind. Hierfür haben sich zahlreiche Phytopharmaka bewährt, die an unterschiedlichen Stellen des Erkältungsprozesses ansetzen. Zum einen gibt es Präparate, welche lediglich die Symptome lindern (z.B. schleimlösende Substanzen) und solche, die zusätzlich auch die krankheitsauslösenden viralen Erreger bekämpfen.

Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse liegen bezügliche einer antiviralen Wirksamkeit von Heilpflanzen vor?

Zahlreiche Pflanzen, die schon vor Beginn der klinischen Forschung als Phytotherapeutika zum Einsatz kamen, produzieren Stoffe, die sie selbst wirkungsvoll gegen Viren und Bakterien schützen. Eine antivirale Wirksamkeit von Pflanzensubstanzen wie ätherischen Ölen, Gerbstoffen oder auch Senfölen wurde in den letzten Jahrzehnten vor allem gegen Influenzaviren und Herpesviren in vielen Laboruntersuchungen bestätigt. Lassen Sie mich einige Beispiele nennen: Für Gerbstoffe (z.B. vorhanden in grünem Tee und Salbei) konnte gezeigt werden, dass diese die Virenvermehrung hemmen. Die antivirale Wirkung von Gerbstoffen beschränkt sich aber auf die lokale Schleimhaut, womit sie sich zum Spülen oder Gurgeln eignen.

Auch für Senföle (z.B. aus der Meerrettichwurzel) konnte in Laboruntersuchungen einer Forschergruppe aus Gießen gezeigt werden, dass diese zum einen antibakteriell wirken, aber auch die Vermehrung von Grippe-Viren (H1N1) wirkungsvoll hemmen können. Daher werden Heilpflanzen wie die Meerrettichwurzel bereits seit Jahrhunderten bei akuten Infektionen der Atemwege, z.B. Sinusitis oder Bronchitis, erfolgreich eingesetzt.

Aber auch für ätherische Öle konnten antivirale Effekte im Labor nachgewiesen werden. Die ätherischen Öle von Pfefferminze und Nelke wirken z.B. lokal gegen Herpesviren. Zudem gibt es Inhaltsstoffe von Heilpflanzen, die das Immunsystem stärken und damit einen indirekten Einfluss auf Krankheitserreger haben. So zeigen unter anderem Untersuchungen zu Inhaltsstoffen der Kapland-Pelargonie, dass diese das Immunsystem aktivieren und so die Vermehrung von viralen Erregern hemmen. Die Heilpflanze soll dadurch bei akuter Bronchitis helfen. Studien kommen allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen. Mal besserte sich eine Erkältung schneller oder verlief schwächer, mal zeigte sich kein Effekt.

Gibt es Untersuchungen, die die Wirksamkeit von Arzneipflanzen gegen andere Erkältungsviren untersuchen?

Es sind etwa 200 verschiedene Arten von Viren bekannt, die Erkältungskrankheiten auslösen können. Dazu zählen unter anderem auch Rhinoviren, die hauptsächlichen Verursacher der klassischen Erkältung. Bei den Rhinoviren konnten die Gießener Wissenschaftler ebenfalls in Laboruntersuchungen zeigen, dass die Senfölkombination die Vermehrung der getesteten Erreger hemmen kann. Auch für Inhaltsstoffe des Ingwers (Sesquiterpene) haben britische Forscher eine antivirale Aktivität gegen Rhinoviren nachgewiesen. Bei akuten unkomplizierten Infektionen der Atemwege gilt also: Um rasch einen Therapieerfolg zu erzielen und nicht zu viel Zeit verstreichen zu lassen, sind antiviral wirksame Pflanzensubstanzen immer einen Versuch wert.

Und gibt es auch Forschungsansätze, die eine mögliche Wirkung von Pflanzensubstanzen gegen das neuartige Sars-CoV-2 untersuchen?

In Bezug auf das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 kursieren derzeit zahlreiche unseriöse Werbeaussagen über verschiedenste Mittel, die eine vermeintliche Wirkung gegen diesen aktuellen Krankheitserreger öffentlich machen. Doch Fakt ist: Es gibt derzeit noch keine Daten zur Wirksamkeit von Substanzen, weder chemisch noch pflanzliche, gegen Sars-CoV-2.

Angesichts der rasanten Ausbreitung von Sars-CoV-2 wäre natürlich zu hoffen, dass neben einer raschen Entwicklung eines Impfstoffes auch bald ein Wirkstoff gegen das neuartige Coronavirus entdeckt wird. Derzeit werden verschiedene, bereits bei anderen Erkrankungen bewährte antiviral wirksame Medikamente im Hinblick darauf untersucht, ob diese Mittel möglicherweise auch gegen Sars-CoV-2 eingesetzt werden könnten – so z.B. Arzneimittel, die für Erkrankungen wie HIV oder Hepatitis C entwickelt wurden.

Daneben sollten auch bald verstärkt wissenschaftliche Untersuchungen zur Wirksamkeit von antiviral wirksamen Phytopharmaka auf das neuartige Coronavirus umgesetzt werden. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass rund 40 Prozent aller modernen Arzneimittel, die heute zum Teil auf der ganzen Welt vielfach eingesetzt werden, pflanzlichen Ursprungs sind oder zumindest in dieser Tradition wurzeln. In der weiteren Erforschung von arzneilich wirksamen Pflanzenstoffen liegt demzufolge ein unermessliches Potenzial.

Was empfehlen Sie, um sich vor Viren zu schützen?

Auch, wenn wir es alle in den letzten Wochen und Monaten mehrmals täglich gehört haben: Das Wichtigste ist, die Husten- und Nies-Etikette einzuhalten, einen Abstand von mindestens 2 Metern zu Mitmenschen zu halten und eine gute Händehygiene. Nur so kann die Verbreitung des Virus eingeschränkt werden. Dies gilt übrigens nicht nur, um eine Ansteckung mit dem neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 zu vermeiden, sondern auch, um sich vor Influenza und anderen Atemwegsinfekten zu schützen.

Eine letzte Frage: Hilft es auch, das Immunsystem zu stärken?

Wenn Viren erst mal ihren Weg in den Körper gefunden haben, ist es wichtig, dass die körpereigene Abwehr stark genug ist, um die Erreger zu bekämpfen. Für Gesunde mit einem intakten Immunsystem verläuft eine Infektion meist viel glimpflicher als für Menschen, deren Immunsystem beeinträchtigt ist, wie z.B. ältere Personen oder Patienten mit chronischen Krankheiten. Daher ist es wichtig, vorhandene Abwehrkräfte zu schützen und zu stärken (z.B. durch eine ausgewogene Ernährung mit Vitaminen und Mineralstoffen, genügend Schlaf und Bewegung an frischer Luft) und das Immunsystem nicht zusätzlich zu schwächen, z.B. durch Alkohol oder Zigarettenrauch, der die Atemwege anfälliger für Infektionen macht.

Herzlichen Dank für das Interview, Herr Dr. Häringer! 

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