„Haben Sie etwas gegen Blasenentzündung?“ – Welche Präparate zur Behandlung von Harnwegsinfektionen erhalte ich in der Apotheke?

Interview mit Herrn Dr. Christian Ude, Apotheker aus Darmstadt

Herr Dr. Ude, in diesem Jahr sind Corona-bedingt die Schwimmbäder ja nicht so stark frequentiert bzw. haben erst später geöffnet. Hat sich dies bei der Nachfrage an Präparaten gegen Harnwegsinfektionen bemerkbar gemacht?

Nein. Die Nachfrage ist im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren unverändert. Natürlich werden Schwimmbadbesuche immer wieder als mögliche Ursache für Harnwegsinfekte herangezogen, allerdings sind die Ursachen sehr viel vielfältiger. Gründe für eine Harnwegsinfektion reichen von nicht angemessener bzw. falscher Hygiene über die Anwendung von spermaabtötenden Verhütungsmitteln bis hin zu einer nicht intakten Vaginalflora und sexuellen Vorlieben. Nicht zuletzt wird auch von der Honeymoon-Krankheit gesprochen, wenn vor dem Hintergrund von häufigem Geschlechtsverkehr eine Harnwegsinfektion auftritt.

Damit ist auch ohne die in diesem Jahr wahrscheinlich kürzer ausgefallene Badesaison eine Beratung rund um das Thema Harnwegsinfektionen wichtig.

Was empfehlen Sie, um Beschwerden zu lindern und den Genesungsprozess zu beschleunigen?

Wenn sich durch das Beratungsgespräch eine unkomplizierte Harnwegsinfektion aufgrund typischer Symptome, wie z.B. Schmerzen beim Wasserlassen oder häufiger Harndrang, aber ohne Fieber und / oder vaginalem Ausfluss herausstellt und die Patientin keiner Risikogruppe (Schwangere, weitere Grunderkrankungen wie z.B. Diabetes) angehört, steht einer Selbstbehandlung nichts im Wege. – Merke: Männliche Patienten sind immer als kompliziert in Bezug auf eine Harnwegsinfektion einzustufen!

Eine sinnvolle Selbstbehandlung sollte auf Leitlinien-gerechten Empfehlungen und Arzneimitteln mit belegter Wirksamkeit basieren. Hierbei sind vor allem pflanzliche Arzneimittel mit bakterienabtötenden und durchspülenden Zubereitungen zu nennen, die durchaus mit leichten und mittelstarken Schmerzmitteln kombiniert werden können. Diese Therapiestrategie ist nicht selten auch als Kombination zu einem vom Arzt verordneten Antibiotikum sinnvoll.

Welche Heilpflanzen eignen sich zur Therapie von Harnwegsinfektionen?

Zur Therapie einer Harnwegsinfektion werden zunächst eine Vielzahl von Arzneipflanzen herangezogen. Die unterschiedlichen Pflanzen haben unterschiedliche Inhaltsstoffe und unterscheiden sich daher in ihrer Wirkung bei Harnwegsinfekten. Beispielsweise enthält die Goldrute Flavonoide, Saponine und Phenolglykoside und wirkt damit z.B. krampflösend, harntreibend sowie entzündungshemmend.

Die im Meerrettich und der Kapuzinerkresse enthaltene Senfölglykoside wirken antibakteriell und haben antientzündliche Effekte. Zudem hemmen diese Pflanzenstoffe die Ausbildung von Biofilmen, mit denen sich Bakterien wie E. coli vor dem Angriff von Antibiotika und des menschlichen Immunsystems schützen. Dies ist gerade im Hinblick auf häufig wiederkehrende Infektionen von Bedeutung. Aufgrund der entzündungshemmenden, antiviralen und antibakteriellen Eigenschaften ist Meerrettich aktuell zur Heilpflanze des Jahres 2021 gewählt worden.

Auch Cranberrys enthaltenen Inhaltsstoffe, die vor allem das Anhaften von Bakterien an die Schleimhäute des Harntraktes verhindern. Sehr berühmt ist der Einsatz von Bärentraubenblättern bei Harnwegsinfekten, wobei hier eine zeitlich begrenzte Anwendung (nicht häufiger als 5x im Jahr) vorgegeben ist. Allerdings zeichnet sich eine moderne und empfehlenswerte Arzneipflanzentherapie dadurch aus, dass man diese nicht auf die Arzneipflanzen reduziert, sondern die aus den Arzneipflanzen hergestellten Zubereitungen betrachtet. Diese Auswahl und Bewertung wird durch die Apotheke vor Ort vorgenommen und hilft in diesem unübersichtlichen Markt den Überblick zu behalten.  

Aus Mangel an Belegen zu Wirksamkeit und Sicherheit ist von der Empfehlung von NEM abzusehen. Wertvoll bei Harnwegsinfekten sind pflanzliche Arzneimittel mit einer Zulassung, die auf Wirksamkeitsbelegen und nicht auf traditioneller Anwendung beruht.

Gibt es außer pflanzlichen Wirkstoffen Behandlungen, die bei Harnwegsinfektionen helfen können?

Neben pflanzlichen Arzneimitteln steht mit dem Zucker D-Mannose eine weitere Option zur Verfügung, die u.a. in Form von Medizinprodukten auf dem Markt angeboten wird. Dieses Medizinprodukt wird dabei jedoch nicht zur akuten Behandlung, sondern zur unterstützenden Behandlung bei der Anwendung von Antibiotika oder zur Prophylaxe von Rezidiven, also zur Vorbeugung von wiederkehrenden Harnwegsinfekten, eingesetzt. D-Mannose kann Bakterien daran hindern, sich an die Zellwand der Harnwege anzuheften. Im Gegensatz zu Arzneimitteln, die per Definition eine pharmakologische Wirkung, z.B. eine antibakterielle Wirkung, zeigen, wirkt ein Medizinprodukt rein physikalisch. Im konkreten Fall besetzt die Mannose die „Ärmchen“ der Bakterien und verhindert damit ein Anhaften der Bakterien an der Zellwand der Blase.

Worauf setzen Sie bei Ihren Empfehlungen bei mild verlaufenden, unkomplizierten Harnwegsinfekten? Wie wichtig sind Ihnen dabei Therapieempfehlungen z.B. anhand von Leitlinien?

Wenn eine Selbstbehandlung auf Basis des Beratungsgesprächs möglich ist, sind für mich die Leitlinienempfehlungen in Kombination mit zugelassenen Fertigarzneimitteln, deren Sicherheit und vor allem Wirksamkeit durch klinische Studien belegt sind, wichtige Grundlage für meine Empfehlungen.

Gemäß Leitlinie sind beispielweise Zubereitungen mit Senfölglykosiden, wie Sie in der Kombination aus Kapuzinerkresse und Meerrettich enthalten sind, eine gute Option für häufig rezidivierende Zystitiden. Darüber hinaus wird ebenfalls der zeitlich begrenzte Einsatz von Bärentraubenblätter oder der bereits angesprochene Einsatz von D-Mannose genannt.

Und Nieren- und Blasentees? Welchen Stellenwert haben diese bei der Behandlung von Harnwegsinfektionen?

Tees gehören untrennbar in die Apotheke. Tees aus der Apotheke zeichnen sich durch ihre hohe Qualität und die enthaltenen Pflanzeninhaltsstoffe aus. Dies ist Grundvoraussetzung für einen Einsatz im Rahmen einer Therapie.

Da jedoch die Teeherstellung durch den Patienten selbst und damit nicht gleich oder gar standardisiert vollzogen wird, ist für mich der Einsatz von Tees immer „nur“ als Ergänzung zu einer wirksamen Heilpflanzentherapie mit zugelassenen, pflanzlichen Fertigarzneimitteln zu sehen. Nicht zuletzt ist Wasser kein gutes Lösungsmittel für die vor allem für die Wirkung notwendigen Pflanzeninhaltsstoffe.

Typische Arzneipflanzen für Tees sind Brennnesselkraut und -blätter, Bärentraubenblätter oder Orthosiphonblätter.

Was empfehlen Sie Patienten mit Harnwegsinfektionen noch?

Patientinnen mit Blasenentzündungen können darüber hinaus eine ganze Menge Dinge parallel und zusätzlich (!) zur Therapie umsetzen, um die Therapie zu unterstützen und um sich vor Rezidiven zu schützen.

Dazu gehört zum Beispiel ein vollständiges Entleeren der Blase - vor allem nach dem Geschlechtsverkehr - keine Anwendung von spermiziden Verhütungsmethoden, eine geeignete, angemessene Genitalhygiene, keine enganliegende Unterwäsche oder auch das Ansäuern des Harns durch z.B. L-Methionin oder Vitamin-C. Wichtig ist dabei, dass es sich dabei nicht um Evidenz-basiert belegte Vorgehensweise handelt. Allerdings sollten gerade Betroffene alle Möglichkeiten ausschöpfen, um wiederholt auftretende Harnwegsinfektionen zu reduzieren.   
 

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