Antibiotika-Einsatz – Wer hat den Schwarzen Peter?

Kategorien:  Antibiotika in der Tierzucht 

Die Bevölkerung wird durch die Diskussion um den Ge- und Missbrauch von Antibiotika teilweise schockiert, mindestens aber verunsichert. Dabei wird zunehmend auch der Einsatz dieser hochpotenten Substanzen in Tierhaltung und Tiermedizin kritisch diskutiert. So zeigte z.B. eine jüngere Studie an 832 Mastdurchgängen in 184 Betrieben Nordrhein-Westfalens, dass 92,5% aller Hähnchen während ihres kurzen Lebens von gerade einmal 35-40 Tagen (!) mit Antibiotika behandelt wurden. Teilweise wurden bis zu acht verschiedene Substanzen eingesetzt, im Durchschnitt waren es 3,4 unterschiedliche Antibiotika1.

Was sind Gründe für diese besorgniserregenden Fakten?

Es gibt viele Indizien dafür, dass zahlreiche vermeidbare Krankheiten – der  Veterinärmediziner spricht in dem Fall von  Technopathien – durch bestimmte Haltungsformen der heutigen Landwirtschaft begünstigt werden.

Beispiel: Die sogenannte moderne Putenhaltung

Bekannt ist, dass viele ältere Geflügel-Großställe keine ausreichende Isolierung der Bodenplatte besitzen und andererseits bei hohen Belegdichten die Tiere häufig in ihren eigenen Ausscheidungen, mindestens in feuchter Einstreu, stehen. Wenn dann – wie leider noch vielfach praktiziert – schnellwachsende Rassen eingesetzt werden, steigt der tägliche Wasserbedarf, der vom Tier größtenteils frei nach dem Motto: „Alles, was rein geht, muss auch wieder raus!“ abgegeben wird. Hier zeigen aktuelle, bundesweit durchgeführte Untersuchungen, dass im Alter von 22-35 Tagen bereits 63% aller untersuchten Tiere auffällige Veränderungen an den Fußballen aufwiesen. Bei diesen sogenannten Hyperkeratosen kommt es zu Hornhautwucherungen bis hin zu Ephitelnekrosen bzw. dem oberflächlichen Gewebetod2. Es verwundert nicht, dass damit auch der Arzneimitteleinsatz, speziell an Antibiotika, steigt.

Demgegenüber belegen Projekte mit langsam reifenden Putenrassen mit niedriger Besatzdichte eindrucksvoll, welchen positiven Effekt dieses auf die Tiergesundheit hat. Bis zum mitgeteilten Studienende mit bis zu fünf Mastdurchgängen waren keinerlei Antibiotika-Gaben notwendig! Der Anteil an krankhaften Fußballenveränderungen lag bei deutlich verringerten 12,1%3. Überhaupt besinnt man sich seit ca. 15 Jahren in der Geflügelzucht langsam wieder auf gesundheitsbezogene Zuchtziele, z.B. die Bein- und Darmgesundheit bei Hähnchen und Puten. Das war zugunsten der Faktoren Gewichtszunahme und günstige Futterverwertung viele Jahre vernachlässigt worden.

Doch bis sich neue Zuchttrends in der Praxis durchsetzen, vergehen einige Jahre. Immerhin wäre dann zu erwarten, dass tatsächlich weniger konventionelle Antibiotika eingesetzt werden und die Zahl resistenter Bakterien tatsächlich abnimmt.

Derzeitige Situation

Noch ist es aber nicht soweit: Gerade haben Forscher der Tierärztlichen Hochschule Hannover gezeigt, dass auch gesunde Schlachthähnchen voll mit resistenten Darmkeimen sind 4,5. Diese werden zwar bei einer guten Schlachthygiene, spätestens bei sachgerechter Küchenhygiene entfernt, geben aber dennoch Anlass zur Besorgnis – unter anderem deshalb, weil es in vielen Haushalten um eine gute Hygienepraxis nicht zum Besten bestellt ist.  Antibiotika-Resistenzen werden meist über sogenannte Plasmide weitergegeben. Plasmide sind in vielen Bakterien vorkommende ringförmige Strukturen (Gen-Taxis), die zwischen Bakterien besonders leicht ausgetauscht werden. Somit besteht immer die Gefahr, dass Antibiotika-Resistenzen auf andere, vielleicht weniger harmlose Keime im Menschen übertragen werden. Ist der Mensch dann vorerkrankt oder geschwächt, können derartig bewaffnete Mikroorganismen zu einer echten Gefahr werden.

Was kann der interessierte Verbraucher tun?

1. eine gute Küchenhygiene beim Umgang mit Fleisch (http://www.pflanzliche-antibiotika.de/blog/2013/06/umgang-mit-restrisiko-mehr-sicherheit-bei-der-verwendung-von-rohem-fleisch/) beherzigen

2. Fleisch aus Biobetrieben beziehen (diese dürfen Antibiotika nur in einem sehr eng abgesteckten Rahmen einsetzen)

3. Fleisch von langsam wachsenden und extensiv gehaltenen Rassen bevorzugen.

Quellen:

1 SCHOLTEN  P (2012): Antibiotikaeinsatz in Geflügelbeständen – Erfahrungen aus NRW.

Proc. 53. Arbeitstagung der Deutschen Vet. Gesellschaft, Arbeitsgebiet Lebensmittelhygiene, Garmisch-Partenkirchen, 65

2 BERGMANN  S; BARTELS  T; MÄDL  N; HÜBEL  J; TRUYEN  U; KRAUTWALD-JUNGHANNS; ERHARD  MH (2012): Bundesweite Untersuchungen zur Haltung von Puten in der Aufzuchtphase.

Proc. 53. Arbeitstagung der Deutschen Vet. Gesellschaft, Arbeitsgebiet Lebensmittelhygiene, Garmisch-Partenkirchen, 65

3 ERHARD  MH; HEYN  E; BERGMANN  S; WILUTZKI  K; WESTERMEIER  C; HAUSLEITNER  M; BACHMEIER  J (2012): Alternativen bei der Haltung von Masthühnern am Beispiel des Projektes „Privathof-Geflügel“.

Proc. 53. Arbeitstagung der Deutschen Vet. Gesellschaft, Arbeitsgebiet Lebensmittelhygiene, Garmisch-Partenkirchen, 66

4 REICH  F, ATANASSOVA  V, KLEIN  G (2013): Extended-spectrum β-lactamase– and AmpC-producing enterobacteria in healthy broiler chickens, Germany. Emerg Infect Dis. 2013 Aug (epublish. ahead) http://dx.doi.org/10.3201/eid1908.120879

5http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/antibiotika-viele-gesunde-haehnchen-tragen-resistente-keime-a-910600.html