Antibiotika-Einsatz in der Humanmedizin: Fehlbehandlungen und wirkungsloser Einsatz sind an der Tagesordnung…

Kategorien: Infektionskrankheiten Resistenzen 

In letzter Zeit tobt in der Laienpresse wieder eine Debatte um die Frage, wer an der Misere der Resistenzentwicklung gegenüber konventionellen Antibiotika schuld sei. Als Leitmedium fungiert hierbei ein Organ der sog. Qualitätspresse, die renommierte ZEIT aus Hamburg – übrigens vom Autor dieser Zeilen seit Studienzeiten abonniert. Während einige Artikel der Serie gute Hintergrundinformationen zu Resistenzen aufzeigen, können andere Behauptungen, z. B. unter der Überschrift: „Die Rache aus dem Stall“, nicht unwidersprochen bleiben, denn die Ursache der Resistenzentwicklung kann sicher nicht nur an einer Stelle im System gesucht werden. Das zeigt auch die Vielzahl und Heftigkeit vieler Reaktionen, z. B. in den Kommentarseiten der Online-Ausgabe, darunter auch von Fachverbänden wie dem Verband der Agrarjournalisten (VDAJ) in einem offenen Brief an Chefredakteur Giovanni di Lorenzo. Der VDAJ nannte die o. a. Berichterstattung „reißerisch, einseitig recherchiert und ehrverletzend“.¹

Zunächst wird in dem besagten Titel durch den Mitbegründer einer durchaus lobenswerten Ärzteinitiative ein klinischer Fall aus dessen norddeutschen Praxis geschildert, bei dem mehr als 10 verschiedene Antibiotika keine Wirkung mehr gezeigt hätten. Daran sei die Antibiotika-Anwendung in Landwirtschaft und Tiermedizin schuld, so der Tenor des Artikels. Doch ob in solchen Fällen eigentlich notwendige Antibiogramme durchgeführt wurden, davon war leider kein Wort zu lesen. Zur Erklärung: Antibiogramme sind Laboruntersuchungen, bei denen die angezüchteten, verursachenden Keime auf Empfindlichkeit gegenüber verschiedenen Antibiotika getestet werden. Diese sind zwingend notwendiger Bestandteil ärztlicher Qualitätssicherungsmaßnahmen in der Infektiologie und finden sich in den einschlägigen und verbindlich geltenden Richtlinien sowohl in der Human- als auch Veterinärmedizin wieder. Natürlich gelten diese auch für den praktizierenden Arzt/die Ärztin.

Wie sieht nun das Verordnungsverhalten in ärztlichen Praxen aus?

Dazu ist unlängst eine 22-Jahresstudie über insgesamt fast 11 Millionen (!) Verschreibungen von Antibiotika in Großbritannien im renommierten British Medical Journal (BMJ) erschienen.² Untersuchter Zeitraum war 1991 bis 2012. Das Forscherteam von der Cardiff University berichtet, dass mehr als jede zehnte Antibiotikabehandlung in der Primärversorgung – untersucht wurden 700 Praxen – im Laufe dieses Zeitraumes nicht mehr angeschlagen hat, mit steigender Tendenz.

Analysiert wurden die vier häufigsten Infektionsarten:

  • obere Atemwege (ca. 4,2 Mio. Verschreibungen)
  • untere Atemwege (ca. 3,1 Mio.)
  • Haut- und Weichteilinfektionen (2,6 Mio.)
  • sowie akute Mittelohrentzündung (1 Mio.)

Die Gesamtversagerquote zeigte eine relative Zunahme um 12 %. Dabei waren Therapien der unteren Atemwege (z. B. Bronchitis und Lungenentzündung) mit 35 % Versagern in 2012 am wenigsten erfolgreich. Besorgniserregende Ausfallraten zeigten die synthetischen Antibiotika Trimethoprim (Infektionen der oberen Atemwege) sowie Cephalosporine und Chinolone. Die Folgen sind in Großbritannien leider ähnlich wie in Deutschland: Anstieg der Antibiotika-Therapieversager und Zunahme der Verschreibungen stehen in Zusammenhang.

Nun könnte man einwenden: UK ist nicht Deutschland. Richtig, aber auch hierzulande liegen mit dem jüngsten DAK-Report³ dramatische Daten vor: Demnach waren 30 % der Antibiotika-Verordnungen 2013 mit Blick auf die Diagnose fragwürdig! Für die Studie hat die Krankenkasse anonymisierte Arzneimittel- und Diagnosedaten ausgewertet. Fazit: 40 % der eigenen Versicherten haben 2013 Antibiotika verordnet bekommen!

Außerdem wurden 3.100 Personen in Deutschland befragt: zu ihrem Umgang mit Antibiotika, ihrer Einstellung zu den Medikamenten und ihrem Wissen über Wirkung und Risiken. Ergebnis: 40 % der Befragten sind mangelhaft über die Einsatzgebiete von Antibiotika informiert. Die Patienten sind der Meinung, Antibiotika würden auch bei Virusinfekten wirken. Dabei dienen die Medikamente nur der Behandlung bakterieller Infektionen – bei Erkältungen oder Bronchitis beispielsweise sind sie in den meisten Fällen unnötig. „Die problematische Erwartungshaltung der Patienten bildet sich offenbar auch im Verordnungsverhalten der Ärzte ab“, so Prof. Herbert Rebscher, Vorstand der DAK-Krankenkasse. Interessant ist auch das regionale Verordnungsverhalten der Humanmediziner: In den Bundesländern Niedersachsen, Saarland und Rheinland-Pflanz bekamen die Versicherten überdurchschnittlich viele Antibiotika verabreicht, im Jahresschnitt 7 Tagesdosen! Die Krankenkasse stellt – auch vor dem Hintergrund einer besorgniserregenden Zunahme von multiresistenten Krankenhauskeimen – die epidemiologisch und seuchenhygienisch richtige Forderung auf, ambulante Praxen und Krankenhäuser diesbezüglich endlich besser zu vernetzen.

Was sind die Alternativen?

Dem phytotherapeutisch interessierten Laien wie auch dem Therapeuten/der Therapeutin dürften insbesondere die leichtfertigen und vielfach unnützen Verordnungen antibiotischer Arzneimittel bei (häufig banalen) Infekten der oberen Atemwege ein Dorn im Auge sein, stehen doch hier bewährte und klinisch hervorragend wissenschaftlich belegte Alternativen zur Verfügung.

¹ http://www.vdaj.de/2014/11/racge-aus-dem-stall-25-11-2014/#more-1258

² CURRIE CH; BERNI E; JENKINS-JONES S; POOLE CD; OUWENS M; BUTLER CC; MORGAN LI (2014):
Antibiotic treatment failure in four common infections in UK primary care 1991-2012: longitudinal analysis.
BMJ 349, g5493

³ DAK-Antibiotika-Report 2014: Eine Wunderwaffe wird stumpf. Folgen der Über- und Fehlversorgung.
Abgerufen unter: http://www.dak.de/dak/download/Vollstaendiger_Antibiotika-Report_2014-1487622.pdf?