Antibiotika-Resistenzen: Welche Rolle spielen Kläranlagen von Kommunen und Kliniken?

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Verfolgt man die Diskussion über die dramatische Zunahme von Resistenzen gegenüber chemisch-synthetischen Antibiotika, so mutet manche Äußerung an, als ginge es darum, den „Schwarzen Peter“ zwischen der Humanmedizin und der Landwirtschaft/Veterinärmedizin hin- und herzuschieben (siehe die durchaus einseitige Entschließung des 72. Bayerischen Ärztetages – s. hier). Dabei ist der Sachverhalt – wie so häufig – komplexer. Aktuell wird z. B. im jüngsten deutschen Arzneiverordnungsreport über eine erneute Zunahme des Antibiotika-Verbrauches berichtet2: Die Zahl der Verordnungen stieg gegenüber dem Vorjahreszeitraum um stolze 6,4%. Ob es zu einer Verbreitung von resistenten Keimen  über Kläranlagen kommt, ist aufgrund der stetig steigenden Antibiotika-Verordnungen eine berechtigte Frage…. 

…denn viele gebräuchliche Antibiotika werden relativ langsam oder schwer in der Natur abgebaut. Gerade Antibiotika, die zur Gruppe der sog. Gyrasehemmer gehören und zu denen viele Reserve-Antibiotika* zählen, sind fast persistent, d.h. verbleiben sehr lange in der Umwelt. Beim Menschen eingesetzte antibakterielle Substanzen landen über die menschlichen Ausscheidungen zwangsläufig in der Toilette und stromabwärts in der kommunalen Kläranlage oder – wenn der Mensch als Patient in stationärer Behandlung ist – im Abwasser der Klinik. Daher ist die Fragestellung interessant, ob sich die Einträge eventueller resistenter Bakterien über diese Wege nachweisen und in ihrer Menge bestimmen lassen.

Genau das haben französische Wissenschaftler des Universitätsklinikums Besançon untersucht3. Sie spürten im Krankenhaus, in der Kanalisation und in Klärschlämmen sog. ESBL-E. coli-Bakterien auf. Hierbei handelt es sich um Escherichia coli-Stämme, die eine erweiterte Resistenz für wichtige Antibiotika-Klassen tragen („Extended-Spectrum Beta-Lactamase“**). Ergebnis: Der im Osten Frankreichs und im Westen der Schweiz verlaufende Fluss Doubs, der im Oberlauf keinerlei Zuläufe von Abwässern aus der Tierhaltung erhält, wurde täglich mit mehr als 600 Milliarden dieser multiresistenten Bakterien belastet! Auch der Klärschlamm, der ja bekanntlich auch größere Schadstoffmengen enthält, enthielt im Mittel 260.000 Keime pro Gramm.  Ähnlich besorgniserregende Ergebnisse ergaben Studien in Mittelengland4.  Die Forderung nach einer verbesserten Klärwerktechnik liegt demzufolge nahe.

Sorgsamer Umgang mit Antibiotika in allen Bereichen nötig

Fest steht, dass man sich von Betrachtungsweisen lösen sollte, die sich nur auf eine Ursache fokussieren. Die Wirklichkeit ist etwas komplizierter. Daher sollte an JEDEM Ort einer Anwendung konventioneller Antibiotika sorgsam abgewogen werden, ob der Einsatz tatsächlich notwendig ist. Daneben haben sich sowohl Ärzte als auch Tierärzte an die einschlägigen Leitlinien der Fachgesellschaften und den Stand der medizinischen Wissenschaft zu halten. Frei nach dem Motto: „Wer Antibiotika einsetzt, braucht einen Führerschein und eine erhöhte Selbstkontrolle“. Denn immerhin haben wir im Kampf gegen Bakterien einen gewichtigen Vorteil, den wir gegenüber Viren als Krankheitserreger (s. EBOLA) nicht haben: ALLE Bakterien lassen sich mit geeigneten Antibiotika bekämpfen bzw. wirksam eindämmen!  Diese unschätzbare Eigenschaft darf nicht durch leichtfertigen und gedankenlosen Einsatz verspielt werden, zumal es bei harmlosen Infektionen, die trotzdem lästig und unangenehm sind, phytotherapeutische Alternativen gibt. Diese beruhen auf anderen Wirkprinzipien und bisher wurden bei diesen noch keine Resistenzen beschrieben.

*Reserveantibiotika sind, wie der Name bereits andeutet, ausschließlich der Therapie schwerer, ernsthafter Erkrankungen vorbehalten, wenn die infektiösen Bakterien Resistenzen gegen andere Antibiotika entwickelt haben. Sie sollten nicht zur Therapie bei einfachen Infektionskrankheiten, wie z.B. akuten Blasenentzündungen, eingesetzt werden.

** ESBL – Kurzbezeichnung für Biokatalysatoren (Enzyme), die ein breites Spektrum der sehr verbreitet eingesetzten Beta-Laktam-Antibiotika inaktivieren.

1 http://www.blaek.de/presse/aerzteblatt/2013/BAB_11_2013_564_571.pdf

2  Kern  W (2013):
Kapitel 9. Antibiotika und Chemotherapeutika. In: SCHWABE  U; PAFFRATH  D (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2013
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3 Bréchet C, Plantin J, Sauget M, Thouverez M, Talon D, Cholley P, Guyeux C, Hocquet D, Bertrand X (2014):
Wastewater treatment plants release large amounts of extended-spectrum β-lactamase-producing Escherichia coli into the environment.
Clin Infect Dis. 58(12):1658-65. doi: 10.1093/cid/ciu190. Epub 2014 May 1.

4 Amos GCA, Hawkey PM, Gaze WH, Wellington EM (2014)
Waste water effluent contributes to the dissemination of CTX-M-15 in the natural environment
J Antimicrob Chemother. 69(7): 1785–1791