Virus oder Bakterien: Nur die richtige Diagnose ermöglicht eine rationale Therapie!

Kategorien:  Infektionskrankheiten 

Auch im Frühjahr 2016 grassiert eine neuerliche Grippe- und Erkältungswelle in Deutschland. Nach vielen Beobachtungen waren die Erkrankungen trotz des vergleichsweise milden Wetters in vielen Regionen häufiger und klinisch ausgeprägter als in den Vorjahren. Bei hartnäckigen Erkältungen stellt sich in der Arztpraxis umso häufiger die Frage: Ist ein Antibiotika-Einsatz sinnvoll oder nutzlos, weil die zugrunde liegende Erkrankung ausschließlich durch Viren verursacht wird? Daten über einen neuen Bluttest wecken Hoffnung, dass bald eine schnelle Abklärung möglich wird, ob Viren oder Bakterien den Infekt verursachen.

Viruserkrankung nicht mit Antibiotika behandelbar

Die sogenannte „Echte Grippe“ wird durch verschiedenste Influenza-A-Viren ausgelöst. Die einzelnen Varianten werden mit der H/N-Namensgebung unterschieden. So ist das H1N1-Virus der Erreger der sogenannten „Schweine-Grippe“, die erst vor einigen Jahren erstmalig aufgetreten ist.  Es tritt derzeit wieder vermehrt auf. In der Influenza-Saison 2014/2015 wurde über einen schlechten Impfschutz berichtet, weil der Cocktail der Impfviren nicht hinreichend die Zusammensetzung der im Alltag vorkommenden Viren wiederspiegelte und folglich keine optimale Immunantwort auslöste. Auch in diesem Jahr wird ein ähnliches Phänomen beobachtet.

Da Antibiotika bekanntermaßen nur gegen Bakterien wirken, nicht aber gegen Viren, muss der Einsatz dieser Arzneimittel mit Bedacht erfolgen und sollte auf wenige Indikationen beschränkt bleiben. Nur so können diese hocheffektiven Medikamente für ernste und bedrohliche Erkrankungen aufgespart werden. Die Realität sieht in bundesdeutschen Praxen allerdings anders aus. Nach wie vor werden viel zu viele Antibiotika ohne eine gesicherte Diagnose einer zugrunde liegenden bakteriellen Infektion verschrieben.

Bisherige Testmethoden auf  bakterielle Infektionen benötigen Zeit

Da die echte Influenza, aber auch andere zunächst harmlose grippale Infekte, in eine gefährliche Zweitbesiedlung mit Bakterien einmünden können, macht es bei immungeschwächten, chronisch Kranken oder betagten Patienten Sinn, den Einsatz potenter Antibiotika bei beginnenden oder zu befürchtenden bakteriellen Lungenentzündungen einzusetzen. Um den Einsatz abzuwägen, steht dem Arzt seit Jahren der sog. Procalcitonin-Bluttest (PCT) zur Verfügung.  Dieser zeigt mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit an, ob bereits eine bakterielle Beteiligung vorliegt oder nicht. Nachteil des bisherigen Tests ist, dass das Ergebnis frühestens nach 10 Stunden vorliegt, der Patient also faktisch ein 2. Mal in die Arztpraxis einbestellt werden muss. Damit haben sich alltagspraktische Forscher der medizinischen Hochschule Hannover (MHH) nicht zufrieden gegeben1. Patienten wurden in einer Studie zwar vorsorglich Rezepte für Antibiotika ausgestellt, aber man bat die Teilnehmer, diese nicht sofort einzulösen. Stattdessen sollten die Patienten am Folgetag von der betreuenden Arzt-Praxis angerufen werden. Dann lag das Ergebnis des PCT-Tests vor und ein ärztlicher Hinweis erfolgte, ob das Rezept einzulösen war oder nicht. Allein durch diese simple, zeitlich-organisatorische Maßnahme sank der Antibiotika-Verbrauch deutlich: Faktisch nahmen nur 22 % der Betroffenen die Arzneimittel ein (gegenüber 37 % in der Kontrollgruppe), das bedeutet eine Reduktion des Antibiotikaverbrauches um 41,7 %.

Schnelltest in Aussicht

An der labordiagnostischen Front wird indes emsig mit dem Ziel gearbeitet, eine Nachweismethode zu entwickeln, die wesentlich schneller zeigt, ob eine virale oder bakterielle Infektion vorliegt. Jüngst wurde ein neuer Test vorgestellt, der die Aktivierungsmuster bestimmter Gene analysiert2. Diese unterscheiden sich nämlich, je nachdem ob das Immunsystem Viren oder Bakterien bekämpft (oder sich nicht mit einer akuten Infektion auseinandersetzt). Der von US-Forschern der Duke University beschriebene Test schnitt in einer Studie besser ab als der oben beschriebene, etablierte PCT.

Prüfgrundlage waren: 5 Datenbanken und 317 Patienten aus Klinikambulanzen inkl. einer Kontrollgruppe von 44 Personen.

Insgesamt kamen die Forscher auf folgende Zuordnung:

  • Kein Nachweis einer bakteriellen oder viralen Infektion bei 88 Patienten.
  • Nachweis einer viralen Infektion bei 115 Patienten.
  • Nachweis einer bakteriellen Infektion bei 70 Patienten, das entspricht nur gut einem Viertel aller Patienten mit klinisch relevanten Symptomen.

Nur in der letzteren Gruppe wäre tatsächlich die Indikation für eine primäre antibiotische Therapie gegeben gewesen.

Der von den US-Forschern eingesetzte Test, der allerdings noch nicht kommerziell verfügbar ist, zeigte sich gegenüber dem PCT-Test sogar als noch präziser: In 87 % der Fälle ermittelte das Verfahren zuverlässig die Ursache der Beschwerden. Der bislang am besten untersuchte Procalcitonin-Test (PCT)  kommt den Forschern zufolge auf eine Trefferquote von 78 %.

Ziel der Wissenschaftler ist es, dass der neue Test binnen einer Stunde ein Ergebnis liefert.

Wie können sich Nachweismethoden im Praxisalltag  etablieren?

Trotz des labordiagnostischen Fortschrittes inkl. PCT-Test besteht für den medizinischen Alltag ein echtes Dilemma. Das geschilderte Vorgehen erfordert ein konsequentes und gut verzahntes Vorgehen zwischen Arzt, medizinischem Hilfspersonal (Blutprobe ziehen, Versand, Koordination, Telefonat) und medizinischem Labor. In der Arztpraxis bestehen derzeit keine besonderen ökonomischen Anreize, weshalb es tatsächlich auf die innere Überzeugung des Therapeuten ankommt.  Dabei wäre eine Umsetzung der zitierten Studien in den Praxisalltag ein wirksamer Beitrag ganz im Sinne der WHO-Strategie zur Minimierung des Antibiotika-Einsatzes und zum Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen3. (s. auch WHO 10-Punkte Plan zur Vermeidung von Antibiotika-Resistenzen)

Antibiotika-Alternativen im Blick behalten

Noch besser im Sinne der Patienten wäre freilich, eine flächendeckende, erhöhte Bereitschaft gegenüber dem Ansturm der winterlichen Atemwegsinfektionen, z.B. durch die Gabe von antibiotisch wirksamen pflanzlichen Arzneimitteln. In verschiedensten klinischen Studien haben sich pflanzliche Antiinfektiva  hochwirksam gegenüber verschiedensten bakteriellen Erregern und teilweise auch Viren gezeigt. Und von Resistenzen keine Spur….

Literatur

1Burkhardt O, Ewig S, Haagen U, Giersdorf S, Hartmann O, Wegscheider K, Hummers-Pradier E, Welte T. (2010): Procalcitonin guidance and reduction of antibiotic use in acute respiratory tract infection. Eur Respir J. 2010 Sep;36(3):601-7. doi: 0.1183/09031936.00163309. E1pub 2010 Feb 25.

2Tsalik EL; Henao R; Nichols M et al. (2016): Host gene expression classifiers diagnose acute respiratory illness etiology. Science Translational Medicine  20 Jan 2016: Vol. 8, Issue 322, pp. 322ra11DOI: 10.1126/scitranslmed.aad6873

3WHO: Worldwide country situation analysis: response to antimicrobial resistance (April 2015); http://apps.who.int/iris/bitstream/10665/163468/1/9789241564946_eng.pdf?ua=1&ua=1