Sind die neuen Richtlinien für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention im Krankenhausalltag umsetzbar?

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Infektionen in Krankenhäusern und die Zunahme von Antibiotikaresistenz bei bestimmten Krankheitserregern bedeuten nicht nur für den Betroffenen Patienten ein hohes Maß an persönlichem Leid, auch die Krankenhausleitung wird bezüglich medizinischer und ökonomischer Sachverhalte vor eine ständige Herausforderung gestellt.

Laut Auskunft durch das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) erkranken in Europa jährlich  rund 4 Millionen Patienten an Infektionen, die sie im Krankenhaus erworben haben. Mediziner sprechen von so genannten nosokomialen Infektionen (von altgriechisch νόσος nósos =‚Krankheit‘ sowie κομεῖν komein = ‚pflegen‘). Mindestens 37.000 Patienten versterben an deren Folgen. Man schätzt, dass ein Drittel dieser Infektionen vermeidbar sind, wenn entsprechend wirksame Maßnahmen zur Infektionskontrolle im Krankenhaus durchgeführt werden. Um das Problem genauer zu erfassen, wurde 2011 auf Initiative des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) eine Studie zum Vorkommen von Krankenhausinfektionen und zur Antibiotikaanwendung durchgeführt. Im Rahmen der repräsentativen Studie wurden die Daten von 46 deutschen Krankenhäusern mit fast zehntausend Patienten ausgewertet. Dabei zeigte sich erwartungsgemäß, dass Krankenhausinfektionen bei großen Krankenhäusern mit über 800 Betten überdurchschnittlich oft vorkommen. So traten beispielsweise bei 6% der in Unikliniken behandelten Patienten im Krankenhaus erworbene Infektionen auf. Unter den verschiedenen Fachrichtungen wurde das höchste Auftreten mit 18,6% bei Intensivpatienten beobachtet. Die häufigsten Infektionserkrankungen waren Harnweginfektionen (22,4%), Wundinfektionen nach Operationen (24,7%) und untere Atemweginfektionen (21,5%) gefolgt von Durchfallerkrankungen, die durch das Bakterium Clostridium difficile hervorgerufen werden (6,6%) und primärer Sepsis, also einer Blutvergiftung mit 6,0%.

Eine zunehmende Zahl dieser Infektionen (bis zu 50%) wird durch multi-resistente Infektionserreger, also solche Erreger, die bereits gegen viele Antibiotika resistent sind, hervorgerufen. Aufgrund dieser Problematik wurden im Infektionsschutzgesetz mehrere Vorschriften zur Krankenhaushygiene aufgenommen. So wurden alle Leiter von Krankenhäusern dazu verpflichtet, bestimmte Infektionen und Krankheitserreger mit speziellen Resistenzen und Multiresistenzen zu erfassen und zu bewerten. Die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) am Robert-Koch Institut (RKI) hat dem Gesetz zu Folge die Aufgabe, Empfehlungen zur Vermeidung von Infektionen im Krankenhaus zu erstellen, aber auch betrieblich organisatorische Maßnahmen der Hygiene in Krankenhäusern zu erarbeiten.

In ihrer jüngsten Veröffentlichung im Bundesgesundheitsblatt hat die KRINKO die zu berücksichtigenden Hygienemaßnahmen bei Infektionen oder bei einer Besiedlung mit Multi-Resistenten Gram-Negativen (MRGN) Erregern veröffentlicht. Dabei bemühte sich die Kommission, die Empfehlungen nach dem jeweiligen Stand des Wissens in die üblichen Evidenzkategorien (Kategorie IA, IB, II und III) einzuteilen. Aufgrund der mangelnden Datenlage wurden die Empfehlungen in diesem Papier in die zweitniedrigste Kategorie II eingestuft.

Kurz zum Hintergrund: Mit Hilfe von Evidenzkategorien wird die wissenschaftliche Aussagefähigkeit von klinischen Studien erfasst. Je höher die Evidenzklasse, desto besser ist die wissenschaftliche Grundlage für die Therapieempfehlung.

Was bedeutet dies für den Klinikalltag?

Leider bietet keine Empfehlung aufgrund der unzureichenden Datenlage einen eindeutigen Beleg für die empfohlene Hygiene-Maßnahme. Dies gilt vor allem für die Empfehlungen zur Isolierung von Patienten mit Krankenhausinfektionen. Selbstkritisch wird unter dem Kapitel „Durchführung von Isolierungsmaßnahmen“ ausgeführt:

International sind unter dem Begriff „Kontaktisolierung“ sowohl Barrieremaßnahmen (Verwendung von Schutzkitteln und Handschuhen), als auch Isolierungen (Einzelzimmerunterbringung) beschrieben.“

Es bleibt also dem Anwender überlassen, welche Form der „Kontaktisolierung“, also entweder Barrieremaßnahmen oder Einzelzimmerunterbringung, anzuwenden ist. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Pros und Contras zu den gegebenen Empfehlungen fehlt. Die wichtige Frage, welche Hygienemaßnahmen möglicherweise angebracht sind, um eine Übertragung von MRGN zu verhindern, bleibt also ungeklärt

Aus diesen Gründen, aber auch aus prinzipieller Sicht, können die Empfehlungen der KRINKO nicht als „bindend“ eingestuft werden.

Die Kommission selbst merkt im Vorwort zu der jüngsten Veröffentlichung an:  „Bei der Umsetzung der Empfehlungen dieser Richtlinie sind immer die besonderenBedingungen der Einrichtungen, der behandelten Patienten sowie ökonomische und ökologische Aspekte zu berücksichtigen. Von den Vorgaben der Richtlinie kann grundsätzlich dann abgewichen werden, wenn nach Prüfung alternativer Maßnahmen diese nicht zu einem niedrigeren Schutzniveau für Patient und medizinisches Personal führen. Die entsprechenden Maßnahmen müssen im Fall der Abweichung von der Richtlinie fachlich begründet werden“.

Für die erfolgreiche Umsetzung der neuen Hygiene-Richtlinien in den Klinikalltag bedarf es daher einer Umschreibung in eine praxistaugliche und einfach verständliche Form, die den Verhältnissen der jeweiligen Einrichtung anzupassen ist.